Kassierer- und Verkäuferlose Geschäfte im DACH-Raum und in den Niederlanden
In vielen Ländern, auch mittlerweile in Europa, laufen Tests von Einzelhändlern und Ketten mit stationären Geschäften ganz ohne Verkäufer und Kassierer – Kassierer- und Verkäuferlose Geschäfte. Angeblich soll so das Geschäft der Zukunft aussehen. Was zeichnet diese Geschäfte aus? Sie sind 24 Stunden geöffnet, haben geringe Personalkosten, erheben Daten über das Kaufverhalten der Kund*innen und funktionieren mit verschiedenen, innovativen Technologien. Insbesondere zeichnen sie sich durch eine hohe Automatisierung aus. In Europa und insbesondere in Deutschland ist man noch zurückhaltend. Allerdings entstehen jetzt erste Piloten im DACH-Raum und in den Niederlanden. Wer testet in Deutschland, in der Schweiz und in den Niederlanden mit diesen neuen Konzepten mit welchen Technologien?
Zum Thema Kassierer- und Verkäuferlose Geschäfte haben wir bereits in einem vorigen Beitrag informiert: “Kassierer- und Verkäuferlose Geschäfte – jetzt auch in Deutschland“.
Albert Heijn’s digitales Geschäft in den Niederlanden
Albert Heijn, die erfolgreiche Handelskette aus den Niederlanden, experimentierte zwei Monate lang in Zaandam mit einem Geschäft, das ohne Kassierer und Personal auskommt. Dabei entnehmen die Kunden einfach die Waren aus dem Regal und zahlen dann mit ihrer ING-Karte (Bankkarte). Hierzu kommt eine Technologie zum Einsatz, die an Amazon Go erinnert. Sie stammt vom Startup Aifi. Der Ansatz ist auch unter dem Gesichtspunkt interessant, dass das Identitätsmanagement hier durch eine Bank erfolgt.
Der voll digitale, 14 m² großen Albert Heijn to go Store, arbeitet mit Hilfe zahlreicher technologischer Innovationen. Diese ermöglichen es den Kunden, etwas zu kaufen, als würden sie es zuhause aus ihren Kühlschränken nehmen, ohne Kasse oder Selbstscan.
Waren entnehmen und herausgehen
Und so funktioniert es: Die Tür öffnet sich automatisch mit der Debit- oder Kreditkarte. Im Geschäft greifen die Kunden nach den gewünschten Produkten. Dabei bestimmen Kameras die Position der Kunden, ohne Gesichtserkennung, und ordnen den virtuellen Körben Produktartikel zu. Darüber hinaus behalten die Sensoren im Geschäft den Überblick über die Produkte, die entnommen oder wieder in die Regale gestellt werden. Wenn der Einkauf abgeschlossen ist, gehen die Kunden zum Ausgang, wo die Zahlung automatisch erfolgt und sich die Tür öffnet. Der Kunde muss sich nicht im Voraus registrieren oder eine App herunterladen, was das Zahlungssystem innovativ und gut zugänglich macht.
Zusammenarbeit mit AiFi und der ING Bank
Der Store wurde zusammen mit AiFi, einem US-amerikanischen Start-up-Unternehmen, entwickelt. Die niederländische Bank ING hat die Zahlungslösung entwickelt und übernimmt die Zahlungsabwicklung.
Das Konzept macht das Einkaufen nicht nur sehr einfach. Aufgrund seiner Autonomie kann dieses Geschäft an Orten platziert werden, an denen ein Bedarf nach einem kleinen Geschäft besteht: In der Nähe von Büros oder einer Universität bis hin zu Wohngebieten, die noch keine Einkaufsmöglichkeiten haben. Ein zweiter Vorteil ist, dass das Geschäft immer geöffnet sein kann, was für Menschen nützlich ist, die sehr früh oder sehr spät unterwegs sind.
Ein anderes Beispiel für innovatives Einkaufen zeigt Albert Heijn in seinem Tab-to-Go-Store. Hierüber haben wir in unserem Beitrag “Albert Heijn: Highspeed-Einkaufen mit Tap-to-go” berichtet.
Valora`s kassenloser Convenience Store im DACH-Raum
Das Schweizer Handelsunternehmen Valora eröffnete am Züricher Hauptbahnhof seine ersten kassenlosen Convenience Store. Convenience steht dabei sowohl für Nahrungs- und Genussmittel des täglichen Bedarfs und das Wichtigste für den Haushalt. Weiterhin steht es für schnelles sowie unkompliziertes Einkaufen. Dazu gehören idealerweise Öffnungszeiten von 24 Stunden an sieben Tagen in der Woche.
Dabei orientiert sich die Gestaltung des Stores an dem Trend, dass Einkaufen ohne das Mobiltelefon in Zukunft nicht mehr möglich ist. Zugang und Bezahlen erfolgen über die Mobiltelefon-App im Future Store avec X. Der Zugang, die Erfassung der Waren und das Bezahlen erfolgen über die avec-Smartphone-App. Eine Kernkomponente bildet die Scan-Engine des Mobile-Computer-Vision-Spezialisten Scandit. Mit dem Future Store avec X und der avec box am Zürcher Hauptbahnhof hat Valora neue Maßstäbe gesetzt. In beiden Fällen handelt es sich um Convenience Stores.
Future Store avec X
Im Future Store avec X können Kunden neue Trends beim Einkaufen erleben und ausprobieren, beispielsweise neue Arten des Bezahlens oder den personalisierten Einkauf. Voraussetzung dafür ist die avec-Mobiltelefon-App. Nachdem sich potentielle Kunden mit den persönlichen Angaben ihrer ID-Karte über die Kamerafunktion des Mobiltelefons registriert haben, scannen sie mit der App den QR-Code an der Eingangstür und erhalten anschließend Zugang zum Verkaufsraum. Im Convenience Store scannen sie mit der in die App integrierten Scan-Engine von Scandit den Barcode der gewünschten Produkte und legen sie in ihren Warenkorb. Abgeschlossen wird der Einkauf mit der Funktion „Bezahlen“.
Zusammenarbeit mit Scandit
Eine Kernkomponente der App bildet die Scan-Engine – Software, die jedes mobile Endgerät mit einer Kamera in einen leistungsfähigen Barcode- und Text-Scanner verwandelt – des Schweizer Spezialisten Scandit. Damit erfassen Kunden sowohl ihre ID-Karte bei der erstmaligen Registrierung, den QR-Code an der Eingangstür als auch die Barcodes der Produkte.
Zugang und Bezahlen über die Mobiltelefon-App in der avec box
Zusätzlich zum Innovationslabor testete Valora im April 2019 mit der avec box im Zürcher Hauptbahnhof ein neues, kompaktes Store-Format. Die Verkaufsfläche betrug rund 50 Quadratmeter. Auch hier ist die avec-App Voraussetzung für das Einkaufen. Mit der avec box will Valora ein neues Store-Format und dessen Akzeptanz erproben. Mit der avec box testet Valora digitale Möglichkeiten, um den Kunden mehr Flexibilität sowie Geschwindigkeit und vor allem ein einfacheres Einkaufen zu bieten, wobei die Scan-Engine von Scandit dazu wichtige Grundlagentechnologien beisteuert.
Die gesamte IT für den kassenlosen Minisupermarkt läuft in der Cloud. Die mobile App inklusive der Scan Engine sowie die Bezahlfunktionen sind in eine Backend-SAP-Landschaft eingebunden, genauer gesagt in die Customer-Experience- und E-Commerce-Cloud-Plattform SAP C/4HANA.
Wirecard “Grab and Go”-Store in Aschheim
Das Store-Konzept des Zahlungsdienstleisters kombiniert Bilderkennung, Deep Learning und Logik, um den Konsumenten eine komplett digitale Customer Journey ermöglichen zu können. Einen Vorgeschmack darauf, wie wir in Zukunft einkaufen, gibt ein Shop-Konzept von Wirecard. Der vorgestellte Prototyp des »Grab & Go Store« nutzt künstliche Intelligenz (KI) um den Käufern ein komfortables, nahtloses Einkaufserlebnis zu bieten. Dafür gibt es im Shop der Zukunft weder Öffnungszeiten, noch Warteschlangen und auch kein Personal. Der Kunden braucht nur ein Smartphone, um rund um die Uhr einkaufen zu können.
Der Zutritt zum Geschäft funktioniert per Smartphone, die ausgewählten Produkte werden automatisch gescannt und der Zahlungsprozess läuft im Hintergrund ab, wenn der Kunde mit den Waren das Geschäft verlässt.
Das Innovation Labs von Wirecard hat den »Grab & Go Store« entwickelt, der auf eine Kombination aus Bilderkennung, Deep Learning und Logik setzt. Damit lässt sich im Ladengeschäft eine schnelle, volldigitale und effiziente Customer Journey umsetzen: Sowohl registrierte als auch neue Kunden können nach der automatischen Identifizierung an der Tür einfach das Geschäft betreten und die gewünschten Artikel einkaufen.
Emmas Enkel in Stuttgart
Am Rosenbergplatz 1 können Konsumenten im neuen „Emmas Enkel“-Store ab sofort an 365 Tagen im Jahr zur gewünschten Zeit Bedarfsprodukte einkaufen. Auf 45 qm erwartet die Kunden eine Wohlfühlatmosphäre mit jedoch nur einem kleinen Anteil an Waren. Das Food- und Nonfood-Sortiment am Stuttgarter POS umfasst aktuell insgesamt rund 500 Artikel, darunter frische Lebensmittel und Convenience-Produkte wie Snacks oder Fertiggerichte ebenso wie Drogerie- und Hygieneartikel. Bei 90 Prozent handelt es sich laut Real um regionale Waren in Bio- oder Demeterqualität.
Zwei Bestell- und Abholterminals bilden das Kernstück im Store, der ohne Personal auskommt. Das Konzept setzt auf Vertrauen, es besteht jederzeit freier Zugang zur Verkaufsfläche, ohne Smartphone-App. Die Kontrolle über den Store erfolgt durch Videokameras.
Anlaufstelle für den kleinen Einkauf
Das Geschäft dient als Anlaufstelle für den schnellen Einkauf. Es richtet sich vor allem an die Laufkundschaft der direkten Umgebung. Dabei können Kund*innen Produkte im Store oder bereits vorab via App einkaufen. Bei vorheriger Bestellung können Kund*innen den Warenkorb von überall aus nach dem „Click & Collect“-Prinzip und mit Paypal bezahlen. Alternativ stehen im Geschäft zwei Bestellterminals zur Verfügung. Dort lassen sich die Einkäufe mit Paypal, EC- oder Kreditkarte oder mit Google Pay/Apple Pay abschließen. Nach Zahlung erhalten die Kund*innen einen QR-Code – digital via App oder im Geschäft in ausgedruckter Form. Mit diesen werden die Bestellungen zu jeder beliebigen Zeit an einem der beiden Abholterminals im Markt entgegengenommen.
Zusammenarbeit mit Smark
Die Firma Smark hat für Emmas Enkel ein automatisiertes Bestell- und Regalsystem entwickelt, das einen Großteil der Waren in drei verschiedenen Temperaturzonen im Lager deponiert und Bestellungen in hoher Geschwindigkeit zusammenstellt. Die gekauften Artikel werden vollautomatisiert aus dem angrenzenden Lager via Förderband ausgeliefert. Die Kommissionierung eines Warenkorbs mit acht Artikeln benötigt laut Smark dafür weniger als eine Minute. Ist ein Produkt nicht vorhanden, wird es am Bestellterminal gar nicht erst angezeigt. Beim Kauf alkoholischer Getränke ist eine Altersverifizierung durch Scan des Personalausweises erforderlich.
Fazit und Ausblick
Die Attraktivität von Kassierer- und Verkäuferlosen Geschäften ist einleuchtend. Sie verbessern das Kundenerlebnis und sind darüber hinaus weniger personalintensiv als traditionelle Geschäfte. Die Tests der neuen Geschäfte ist sicherlich positiv. Der Einkaufskomfort steigt.
Solche Geschäfte werden mit Sicherheit in Zukunft ein Teil der Einzelhandelslandschaft werden. Aber es wird ein Format sein, das stationäre Geschäfte ergänzt und nicht ersetzt.