“Einzelhandelsapokalypse” oder “Darwinismus im Handel”, das sind die Schlagzeilen aus den USA wenn es um den Handel 2025 geht. Die Durchdringung des Online-Handels steigt dort von derzeit 16% auf 25%. Und mit jeder 1%igen Steigerung werden rund bis 8.500 Filialen oder Geschäfte in den USA geschlossen. Das bedeutet, dass bis 2026 etwa 75.000 Filialen verschwinden, was etwa 7% der heute 1.044754 stationären Geschäfte in den USA entspricht.

Retail in China

Auf der anderen Seite des Erdballs beginnt in Asien, speziell in China, eine neue „Retail-Renaissance“: Mehr Menschen kaufen an mehr Orten immer mehr Produkte. In China liegt der Einzelhandelsumsatz im stationären Handel bei circa 80 Prozent. Gleichzeitig ist weltweit die Nutzung des Online-Handels in China am höchsten. Zudem wuchs Chinas Konsumentenbasis von rund 20 Millionen im Jahr 1990 auf 700 Millionen im Jahr 2018.

Aber über allem wird seit Jahren die spannende Frage im Handel diskutiert: „Wer wird gewinnen, der stationäre Handel oder der Online-Handel?“. China zeigt den Weg auf: Keiner von beiden wird gewinnen. Gewinner ist der New Retail aus China – Handel in 2025, der neue Handel.

Gewinner ist der New Retail

Was verbirgt sich hinter New Retail? New Retail wurde von Alibaba, dem größten Einzel- und Onlinehändler in China, geprägt und beschreibt die Zukunft des Handels. Basierend auf der Beobachtung des Konsumentenverhaltens und dessen Entwicklung in China entwickelte Alibaba-Gründer Jack Ma das New Retail-Konzept.

Integration von Online, Offline, Logistik und Technologie in einer Wertschöpfungskette

New Retail ist die vollständige Integration von Online, Offline, Logistik und Technologie für eine einzige Wertschöpfungskette. Oder anders ausgedrückt: Es ist Handel auf Basis einer nahtlosen, kanalübergreifenden Verschmelzung von Offline-POS, E-Commerce, digitalen Technologien und neuen Logistikkonzepten. Das Mobiltelefon der Kunden*innen spielt dabei eine zentrale Rolle beim Einkaufen. Es wird zunehmend zum Einkaufsinstrument. Über die Bedeutung des Mobiltelefons im Rahmen des Einkaufens haben wir bereits im Beitrag “Wird das Mobiltelefon zur «Schaltzentrale» des digitalen Lebens?” berichtet.

Alibaba verbrachte die letzten Jahre damit, dieses Konzept umzusetzen. Entstanden ist ein ganzes System von Online-, Offline-, Logistik- und Technologie-Ökosystemen, die alle integriert sind.

Der Unterschied zwischen ursprünglichen Handel und Online-Handel und dem New Retail liegt in der Erkenntnis, dass der stationäre Handel nicht nur noch wichtig sind, sondern auch für den Bestand von Marken, Einzelhändlern, Marktplätzen und Verbrauchern von entscheidender Bedeutung ist.

Komponenten des New Retail

Hema – Beispiel für New Retail

Nach Jack Ma ist der zukünftige Einzelhandel keine Frage von on- oder offline, sondern deren ideale Verknüpfung. Alibaba setzt das auch schon um, zum Beispiel in der Supermarktkette Hema. Mit Hema, heute Freshippo, hat das Unternehmen ein Einzelhandelsformat geschaffen, um New Retail auszutesten und weiterzuentwickeln.

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Eine Einkaufsreise durch den Hema-Supermarkt (Quelle: YouTube)

Einkaufen mit dem Mobiltelefon

Im Kern verbindet Hema on- und offline Kauf über das Mobiltelefon. Das klingt innovativ aber nicht spektakulär. Doch dieser Grad „barrierefreier“ Konsummöglichkeiten gelingt weltweit bislang keinem anderen Unternehmen so.

Hema ist ein breit sortierter Supermarkt mit Schwerpunkt auf Frische bis hin zu lebenden Fischen, die „fangfrisch“ eingekauft werden können. Beim Einkaufen können die Käufer entscheiden, ob der ausgewählte Fisch in den Einkaufskorb wandert oder vom Koch im Supermarkt frisch zubereitet wird, um diesen dann zuhause zu verspeisen. Oder der Käufer kann den Fisch auch direkt bei Hema essen.

Verbindung mit den Produkten über QR-Codes

Bevor es nach Hause geht erledigen die Käufer noch rasch die Einkäufe. Jeder Artikel lässt sich mit Hilfe des QR-Codes am Produkt über das Mobiltelefon einscannen, um darüber nähere Informationen zu bekommen. Im Service sind ergänzende oder verwandte Produktempfehlungen. Nach Abschluss des Einkaufes, scannt der Kunde seinen Warenkorb am Checkout-Terminal ein, selbst das zubereitete Essen wird mit verrechnet. Wer wiederkommt, erhält beim Betreten des Geschäfts aufgrund seiner Kauf- und Suchhistorie neue Empfehlungen. Am Ende wird bezahlt per Mobiltelefon über die Alibaba-eigene Alipay-App.

Einkaufen mit dem QR-Code und Mobiltelefon (Quelle: Alizila)

Die verschiedenen Technologien, die im Handel und beim Einkaufen eingesetzt werden können, um die Customer Journey erlebnisreicher und innovativer zu gestalten, werden im Buch “Digital Connection – Die bessere Customer Journey mit smarten Technologien – Strategie und Praxisbeispiele” umfassend dargestellt.

Online-Bestellungen mit Abholung oder Lieferung

Der Kunde kann seine Einkäufe auch online bestellen und im Geschäft an der Abholstation in Empfang nehmen. Die notwendige Kommissionierung übernehmen Mitarbeiter im Supermarkt, die die Bestellungen in Taschen kommissionieren, die dann an der Abholstation bereitstehen.

Die Käufer, die allerdings im Umkreis von drei Kilometern eines Hema-Supermarktes wohnen, müssen nicht unbedingt ins Geschäft kommen. Hema liefert ihre Online-Bestellung innerhalb von 30 Minuten.

Hema – kurz gefasst: Was bietet der Supermarkt dem Kunden?

  • Ein Einchecken im Geschäft. Dabei wird eine Verbindung zum Online-Zahlungssystem beim Betreten des Geschäftes hergestellt
  • Elektronische Preisschilder variieren die Preise in Echtzeit abhängig von bestimmten Faktoren
  • Gewähren von Rabatten auf Artikel, die Kunden bereits online gesucht hat
  • Virtuelles Ausprobieren: Mit Hilfe der RFID- (Radiofrequenz-Identifikation) und AR- (Augmented Reality) Technologie können Kunden Kleidungsstücke und Make-up virtuell „an- und ausprobieren“
  • Verkaufsautomaten: Käufer können Artikel auch mit Hilfe von Verkaufsautomaten durch Scannen eines QR-Codes kaufen und die Produkte mit wenigen Klicks nach Hause liefern lassen
  • Lieferung gekaufter Produkte aus dem Markt heraus. Die Angabe von Zustelldetails ist nicht erforderlich, da das System bereits die Heimatadresse des Käufers hinterlegt hat

Retail als Entertainment – Retailtainment

An bestimmten Tagen, zum Beispiel dem 11.11., organisiert Alibaba Einkaufsevents. Diese unterstützen das Konzept „Retail als Entertainment“. An diesen Tagen finden große Online-Modenschauen („See Now, Buy Now“) statt, an denen Marken wie MAC, Guerlain, Pandora, TAG Heuer und Rimowa teilnehmen. Während dieser Shows kann das Publikum mehr tun, als nur zuzusehen. Denn es kauft Kleidung oder andere Artikel über Mobiltelefon oder Tablet, wenn die Artikel in der Show gezeigt werden. Darüber hinaus haben die Käufer auch Zugang zu virtuellen Umkleideräumen, in dem sie Fotos hochladen und ihre Größen- und Gewichtsinformationen eingeben konnten, um Artikel virtuell „anzuprobieren“.

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Retailtainment auf der Modenschau (Quelle: YouTube)

New Retail – ein umfangreiches Käufererlebnis

New Retail eröffnet dem Kunden die Möglichkeit, alles, überall, jederzeit und auf jeden Fall zu kaufen. Die Käufer gehen in ein stationäres Geschäft, nutzen QR-Codes an den Produkten, um zu überprüfen, wo das Produkt hergestellt oder angebaut wurde. Sie kaufen Artikel über den QR-Code, die im Geschäft fehlen. Sie checken Artikel in ihrem Warenkorb automatisch aus und bezahlen diese über ein Online-Zahlungssystem. Online gekaufte Artikel werden geliefert und kommen etwa zur gleichen Zeit zu Hause beim Käufer an. Angereichert ist das Einkaufserlebnis durch Virtual Reality-Anwendungen oder Retail-Entertainment Veranstaltungen. Dort kaufen die Kunden direkt bei einer Produktpräsentation oder Modenschau Produkte online ein.

Vier Erfolgsfaktoren des New Retail

Der Schlüssel zum Erfolg des New Retail sind die „vier C’s“ der Customer Journey:

  • Kundenorientierung („customer centricity“), das heißt den Kunden, seine Wünsche und Bedürfnisse in den Vordergrund stellen
  • Bequemlichkeit („convenience“), das heißt jedem Punkt der Einkaufsreise für den Kunden angenehm und komfortabel gestalten, sei es die Produktsuche, die Beratung durch die Verkäufer, das Entdecken von Angeboten oder das Bezahlen und den Checkout
  • Individualisierung („customization“), das heißt jeden Punkt der Einkaufsreise für den Kunden so gestalten, als wäre er individuell für ihn gemacht.
  • Kundenbeitrag („contribution“), das heißt das Kundenfeedback über soziale Medien und andere Kommunikationskanäle ermöglichen und daraus permanent Verbesserungen ableiten

New Retail weist den Weg

Während die Händler in China bereits mit künstlicher Intelligenz experimentieren und New Retail weiterentwickeln, ist New Retail für viele Händler hierzulande noch kein Begriff.

Stationäre Händler sollten beginnen die Barrieren abzubauen, mit denen der Kunde tagtäglich konfrontiert wird, und kundenzentrierte, kanalübergreifende und datenbasierte neue Konzepte umsetzen. Das heißt, sie müssen – unter Einsatz digitaler Technologien – agiler, reaktionsfähiger und kooperativer werden.

Eine modulare IT-Architektur sowie die intelligente Nutzung des Mobiltelefons der Käufer*innen sind die Basis, aber erst der Anfang. Der Point of Sales muss sich zum Point of Experience, Convenience und Omnichannel werden. Die neuen Konzepte werden maßgeblich beeinflussen, wie erfolgreiches Verkaufen in der Zukunft funktioniert. Gerade der New Retail aus China könnte deutschen Händlern mit kreativen Denkanstößen zu neuen Ansätzen verhelfen.

Wenn Sie das Thema New Retail interessiert und Sie es vertiefen möchten, dann lesen Sie das aktuelle Buch „New Retail: Born In China Going Global – How Chinese Tech Giants are changing Global Commerce“ von Ashley Galina Dudarenok und Michael Zakkour. Es bietet detaillierte Einblicke in die wichtigsten technologischen und kommerziellen Veränderungen in China und sagt voraus, wie sich diese auf den Rest der Welt auswirken werden.

Zu guter Letzt

Anmerkung: Dieser Artikel wurde zuerst unter dem Titel “New Retail aus China – Handel in 2025 (2)” bei Zukunft des Einkaufens veröffentlicht.